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Diskursive Polarisierung
In einigen Ländern, auch innerhalb Europas, bedrohen extreme Formen der Polarisierung die demokratische Gesellschaftsordnung. Als Medien- und Kommunikationswissenschaftler:innen beschäftigen wir uns mit der Erforschung der diskursiven Dimension von Polarisierung: wie und warum sie in medialer sowie zwischenmenschlicher Kommunikation entsteht und welche Ansätze geeignet sein könnten, ihr entgegenzuwirken.
Diskursive Polarisierung wird als jene Form von Polarisierung definiert, welche in Kommunikationsprozessen entsteht und gemessen wird. Sie spiegelt kognitive Polarisierung wider und beeinflusst diese zugleich. Analytisch unterscheidet sich die kognitive Polarisierung dadurch, dass sie meist auf Basis von Umfragedaten gemessen wird. Beide Formen der Polarisierung sind Teil desselben übergeordneten Meta-Prozesses gesellschaftlicher Divergenz.
Diskursive Polarisierung setzt sich aus drei Dimensionen zusammen. Obwohl die bisherige Forschung sich nicht über die Bezeichnungen und genauen Definitionen dieser Dimensionen einig ist, zeichnet sich ein breiter Konsens dahingehend ab, dass zumindest zwei grundlegende Dimensionen unterschieden werden sollte: 1) Ideologische Polarisierung, die eine zunehmende Uneinigkeit über Fakten, Werte und Ideen, beschreibt; und 2) affektive Polarisierung die sich in Form einer wachsenden Antipathie gegenüber Fremdgruppen äußert. Polarisierung umfasst somit (a) zunehmende Meinungsverschiedenheiten zwischen Gruppen, begleitet von (b) einer verstärkten Ablehnung der jeweils anderen Gruppe. Eine unkontrollierte und “schädliche” beinträchtigt letztendlich die Demokratie, da sie die Gesellschaft in gegnerische Gruppen spaltet, die einerseits nicht mehr bereit oder fähig sind, miteinander zu verhandeln und zu diskutieren, und andererseits universelle demokratische Rechte und Regeln nicht mehr respektieren.
Während sich die Sozialwissenschaften bei der Erforschung von Polarisierung vor allem auf die USA konzentriert haben, besteht eine Forschungslücke hinsichtlich ihrer kommunikativen Dimension und Dynamiken in anderen Teilen der Welt, einschließlich Europa. Medien, sowohl Nachrichtenmedien als auch digitale Netzwerke, werden dabei eher als treibende Kräfte denn als hemmende Einflüsse für diskursive Polarisierung angesehen. Nachrichtenmedien begünstigen Polarisierung beispielsweise indem sie extremen und radikalen Stimmen Vorrang einräumen, die Aufmerksamkeit erregen und Konflikte provozieren. Dies trägt zu einem verzerrten Bild der öffentlichen Meinung und der beteiligten Gruppen bei. Im Bereich der sozialen Medien wird dieses Zurückdrängen moderater Stimmen als “Social Media Prism” bezeichnet. Soziale Medien bieten nicht nur einen Raum für die Entstehung und Polarisierung extremer Gruppen, sondern fördern auch eine gegenseitige Gruppenpolarisierung, indem überwiegend die negativsten Seiten der Outgroup sichtbar gemacht werden, ähnlich wie es im Journalismus geschieht. Sowohl Nachrichtenmedien als auch soziale Medien tragen so zur Wahrnehmung einer polarisierten Gesellschaft bei – einer Wahrnehmung, die sich möglicherweise als selbsterfüllende Prophezeiung erweisen könnte.
Dieser Polarisierungsprozess bedarf weiterer Erforschung, da bislang nur sehr wenige Studien existieren, die versuchen, Polarisierung in unterschiedlichen Ausprägungen in Nachrichteninhalten zu messen, wie eine aktuelle systematische Übersicht der Forschungsliteratur zeigt. Noch seltener wird der Polarisierungsprozess in direkten Interaktionen untersucht. Folglich verfügen wir nur über ein begrenztes Verständnis davon, wie sich soziale Polarisierungsprozesse auf der Makroebene in Interaktionen auf der Mikroebene manifestieren. Vergleiche zwischen direkten und medial vermittelten Interaktionen könnte den Beitrag der Medien zur Polarisierung deutlich machen. Solche Analysen sollten, im Gegensatz zu den meisten bisherigen Studien, die ideologischen und affektiven Dimensionen der Polarisierung klar voneinander trennen.
Brüggemann, M., & Meyer, H. (2023). When debates break apart: Discursive polarization as a multi-dimensional divergence emerging in and through communication. Communication Theory, 2–3, 122–132. https://doi.org/10.1093/ct/qtad012